"Du hast einen weiten Weg vor dir"

Elias rannte um so schnell er konnte, immer tiefer in die Wüste hinein. Dann setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod. Er legte sich unter den Ginster und schlief ein. Plötzlich berührte ihn ein Engel. Der sprach zu ihm: »Steh auf! Iss!«

Als Elias hinsah, entdeckte er neben seinem Schlafplatz geröstetes Brot und einen Krug mit Wasser. Er aß und trank, dann legte er sich wieder schlafen. Doch der Engel Gottes erschien ein zweites Mal. Wieder berührte er ihn und sprach: »Steh auf! Iss! Du hast einen weiten Weg vor dir!«

Da stand er auf, aß und trank und ging los. Durch das Essen war er wieder zu Kräften gekommen. Vierzig Tage und vierzig Nächte war er unterwegs, bis er den Horeb, den Berg Gottes, erreichte.

Erschöpft liegt Elias unter dem Ginsterstrauch. Er mag nicht mehr, will nicht mehr, kann nicht mehr. Er fühlt sich missverstanden, verraten, verlassen. Und auch Gott scheint ganz weit weg. Seine Kraftquellen sind versiegt, der Akku leer. Er wünscht sich den Tod. Alles, was ihm bisher Kraft gegeben hat, ist fort: seine Begleiter, sein Gottvertrauen, sein Ziel, seine Wut. All das, was ihn sonst aufgerichtet hat – verschwunden. Er geht in die Wüste: bisher hat ihm dieser lebensfeindliche Ort geholfen, sich zu konzentrieren. Diesmal nicht. Seine Kraftquellen sind leer. Er findet keine neuen. Doch die Kraftquelle findet ihn.

Ein Bote Gottes macht sich auf den Weg zu Elias, versorgt ihn mit frischem Wasser und geröstetem Brot. Elias ist zu erschöpft um das Wunder wahrzunehmen. In seiner Verzweiflung scheint er gar nicht zu begreifen, was da geschieht. Er schläft einfach wieder ein. Ich kann ihn gut verstehen.

Verzweifelt zu sein, zu trauern, das kosten richtig Kraft. Bei mir ist es selten die eigene Lebenssituation, die mich so erschöpft. Es ist der Blick in die Welt, auf das Leiden, auf die Unwilligkeit von uns Menschen, besser zu handeln.

Wie Elias brauche auch ich da mehr als eine Botschaft. Mehr als eine Stärkung, mehr als ein Stück Brot und einen Schluck Wasser. Ich brauche die Ehrlichkeit des Boten. „Du hast einen weiten Weg vor dir!“ Der Weg ist weit – ganz wörtlich bei Elias, im übertragenen Sinne bei mir. Der Weg ist weit bis ans Ziel und immer wieder wird die Erschöpfung kommen, die Zweifel, die Fragen, die Müdigkeit. Der Weg ist weit und es braucht immer wieder Orte zum Rasten; Menschen die einen stärken; Boten Gottes, die mich auf die Beine stellen. Es braucht sie und es gibt sie – die Orte, die Menschen, die Boten. Und sie finden mich, finden dich, auch in der Wüste. Geben uns Kraft, Hoffnung für den Weg. Er bleibt weit, er bleibt lang, er bleibt anstrengend. Gott findet uns und spricht uns zu: „Steh auf! Iss! Du hast einen weiten Weg vor dir!“

 

 

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gelb blühender Ginsterstrauch