"Ich möchte ein Beispiel geben - unter uns gibt es Menschen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben"
Die unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitungsstudie ForuM zu sexualisierter Gewalt im Raum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie untersuchte die spezifischen Risikofaktoren für sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche. Für die unterschiedlichen Teilprojekte wurden umfassende Interviews mit Betroffenen geführt. Hinter jeder Zahl - egal ob im Hellfeld abgebildet oder im Dunkelfeld vermutet - steckt eine persönliche Geschichte. Ein Mensch, der in seiner menschlichen Würde, in seiner seelischen und körperlichen Integrität angegriffen wurde. Auch in unserem Kirchenbezirk gibt es Gesichter hinter den Zahlen. Menschen, die betroffen sind. Deren Fälle bekannt oder noch nicht gemeldet sind. „Ich möchte ein Beispiel geben, dass es Menschen gibt, die sexualisierte Gewalt erlebt haben“, so schreibt es eine/r Betroffene/r, die/der von seiner/ihrer Geschichte erzählt.
Sexualisierte Gewalt ist ein Missbrauch von Macht und Machtstrukturen, die durch Abhängigkeitsverhältnisse entstehen. Wenn Menschen sexualisierte Gewalt erleben, dann hat das tiefgreifende Folgen für das Leben dieser Menschen. Weil sie in ihrem Vertrauen erschüttert werden. „Als Mensch, der so eine Verletzung erlebt hat, kann man nur versuchen, zu überleben. Missbrauchte Menschen werden oft als ‚Überlebende‘ bezeichnet. Es war für mich immer mal wieder offen, ob ich es wert bin, zu leben“, so beschreibt es eine/r Betroffene/r aus unserem Kirchenbezirk. Und macht damit deutlich: Sexualisierte Gewalt hat zerstörerisches Potential, weil sie Auswirkungen auf das Bindungs-, Beziehungs- und Vertrauenserleben hat.
Als Kirche und Diakonie haben wir den Anspruch, Menschen einen Raum zu bieten, in dem sie sich sicher fühlen können. Umso schwerer wiegt die Tatsache, dass sowohl in den Evangelischen Landeskirchen als auch in der Diakonie ein eklatantes und jahrzehntelanges Versagen festgestellt werden kann. Landesbischöfin Heike Springhart hat im Nachgang zur Veröffentlichung deutlich gemacht, dass „zu den spezifischen Charakteristika, die sexualisierte Gewalt in unserer Kirche ermöglicht und begünstigt haben, das Wegsehen und die Vorstellung gehört, dass es ‚so etwas‘ bei uns nicht gibt.“ Wenn wir also davon sprechen, dass wir als Kirche Verantwortung übernehmen müssen, dann bedeutet das zunächst einmal, das Unmögliche für möglich zu halten. Und zum anderen, den Betroffenen aufmerksam und ernsthaft zuzuhören. Wir wissen aus vorherigen wissenschaftlichen Untersuchungen, dass sich ein Kind im Schnitt bis zu 7 mal einem Erwachsenen anvertrauen muss, bis ihm/ihr geglaubt und geholfen wird. Betroffene testen aus, wo sie mit ihrer Geschichte Gehör finden. Sie versuchen häufig, sich in kleinen Bemerkungen mitzuteilen. Umso entscheidender ist es, nachzufragen, das Anliegen ernst zu nehmen und gemeinsam zu überlegen, welche Wege gegangen werden können. Eine/r Betroffne/r aus unserem Kirchenbezirk schreibt dazu „Ich kann damit leben, dass Menschen erstmal einmal verlegen sind, wenn ich mich ihnen anvertraue. Das ist für mich besser, als schnelle Ratschläge.“
Einen Teil der persönlichen Geschichte der/des Betroffenen können Sie hier nachlesen. Es sind selbst gewählten Worte, die uns erahnen lassen, dass sexualisierte Gewalt weitreichende Folgen mit sich bringt – für die Betroffenen selber, aber auch für alle, die die Verantwortung tragen, darum zu wissen.
In Absprache mit den Betroffenen können Fälle von sexualisierter Gewalt an unterschiedlichen Stellen gemeldet werden. Eine Übersicht über die verschiedenen Anlaufstellen, kostenlose und anonyme Beratungs- und Hilfsangebote finden Sie hier.
Sexualisierte Gewalt ist nicht nur ein Thema für die Aufarbeitung zurückliegender Taten. Durch Maßnahmen der Prävention, Früherkennung und Frühintervention soll der Gewalt entgegengewirkt werden. Hierbei helfen auch die Ergebnisse der Aufarbeitungsstudie. Es geht, neben der persönlichen Sensibilisierung durch Schulungen, auch um strukturelle Rahmenbedingungen und Verfahrensabläufe. Rechtlich verankert ist dies in der Gewaltschutzrichtlinie der Landeskirche. Hier finden Sie Informationen zur Prävention gegen sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Landeskirche Baden sowie den Standards der landeskirchlichen Gewaltschutzrichtlinie.