Grenzenlos
Im Sommer vor Corona hatte ich das Glück zu heiraten. Alles war ganz wunderbar. Wir durften am Abend sogar tanzen, ganz ohne Maske und PCR-Test, und Flitterwochen gab es hinterher auch noch. Weil mein Mann und ich uns auf einer kleinen griechischen Insel kennengelernt hatten, nahmen wir es auf unser Gewissen, einen Ferienflieger in die Ägäis zu buchen. Wir rundeten beim Kompensationsbeitrag ordentlich auf und schworen uns, nach dieser Flitterwochen-Ausnahme künftig nur noch mit dem Rad in die Ferien zu fahren.
Tief hingen beim Abflug die Wolken über Basel. Umso beeindruckender war dann der Start: Beim Aufstieg durch die Wolken waberte noch der Nebel vor dem Flugzeugfenster. Die Maschine stieg weiter, der Nebel wurde licht und lichter ‒ plötzlich dann gleißende Helligkeit. Oben himmelblau, so weit das Auge blickt, unten brautkleidweiße Wolkenwatte, flächendeckend, von links nach rechts. So blieb es, volle zwei Flugstunden lang, bis zur Landung. Dreitausend Kilometer weit. Gefühlt: unendlich weit.
„Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist“ (Ps 36,6): Vom Ferienflieger wusste der Psalmbeter nichts, als er in poetischen Bildern seine Gotteserfahrung zum Ausdruck brachte, rund 100 Generationen vor uns. Ihm reichte die Beobachtung, dass sich der Himmel hinter dem Horizont fortsetzt, wohingegen das Land irgendwann am Meer endet und dies Meer wiederum am Land. Daher fiel ihm, dem Beter, das Sprachbild vom Himmel ein, als er so etwas Unbegrenztes, Überbordendes, in ihrer Fülle nicht Begreifbares wie Gottes Güte fassen wollte – in Worte.
Weil er an andere weitergeben wollte, wie er seinen Gott erfahren hat: Als unendlich lebensfördernde Wirklichkeit. Als Gnade mit reichlich Überschuss. Unberechenbar, alle Grenzen sprengend, nicht aufhörend. So wie das Endlosblau des Himmels, das keinen Abschluss findet, nicht über den Wolken und nicht hinter dem Horizont – so ist Gottes Güte. Überall, allumfassend. Unsere Vorstellungskraft übersteigend.
Wir aber haben es lieber berechenbar. Was wir nicht begreifen können, macht uns nervös. Wir schätzen Überschaubarkeit, setzen die Dinge gern in Beziehung zueinander, rücken sie ins rechte Verhältnis, trennen oben und unten, außen und innen, rechts und links. So orientieren wir uns in den Unübersichtlichkeiten dieser Welt.
Gottes Güte aber, so haben es Menschen schon lange vor uns erfahren, sprengt den Rahmen. Wer auf diese Erfahrung vertraut – entweder, weil er sie selbst erlebt hat oder weil er anderen vertraut, die ihm davon berichten –, kann furchtlos seiner Wege ziehen. Auch durch dunkle Lebenstäler: „Herr, Du hilfst Menschen und Tieren. Wie köstlich ist deine Güte, Gott“ (Ps 36, 7.8).
Diese Zuversicht wünsche ich uns,
Ihre Britta Goers, Pfarrerin