Gründonnerstag 09.04.2020 - Predigt von Pfr. i. R. Gerhard Jost

09.04.2020- Gründonnerstag

1 Der HERR aber sprach zu Mose und Aaron in Ägyptenland: 2 Dieser Monat soll bei euch der erste Monat sein, und von ihm an sollt ihr die Monate des Jahres zählen.3 Sagt der ganzen Gemeinde Israel: Am zehnten Tage dieses Monats nehme jeder Hausvater ein Lamm, je ein Lamm für ein Haus.4 Wenn aber in einem Hause für ein Lamm zu wenige sind, so nehme er's mit seinem Nachbarn, der seinem Hause am nächsten wohnt, bis es so viele sind, dass sie das Lamm aufessen können,  6 und sollt es verwahren bis zum vierzehnten Tag des Monats. Da soll es die ganze Versammlung der Gemeinde Israel schlachten gegen Abend. 7 Und sie sollen von seinem Blut nehmen und beide Pfosten an der Tür und den Türsturz damit bestreichen an den Häusern, in denen sie's essen, 8 und sollen das Fleisch essen in derselben Nacht, am Feuer gebraten, und ungesäuertes Brot dazu und sollen es mit bitteren Kräutern essen. 10 Und ihr sollt nichts davon übrig lassen bis zum Morgen; wenn aber etwas übrig bleibt bis zum Morgen, sollt ihr's mit Feuer verbrennen.11 So sollt ihr's aber essen: Um eure Lenden sollt ihr gegürtet sein und eure Schuhe an euren Füßen haben und den Stab in der Hand und sollt es in Eile essen; es ist des HERRN Passa.12 Denn ich will in derselben Nacht durch Ägyptenland gehen und alle Erstgeburt schlagen in Ägyptenland unter Mensch und Vieh und will Strafgericht halten über alle Götter der Ägypter. Ich bin der HERR.13 Dann aber soll das Blut euer Zeichen sein an den Häusern, in denen ihr seid: Wo ich das Blut sehe, will ich an euch vorübergehen, und die Plage soll euch nicht widerfahren, die das Verderben bringt, wenn ich Ägyptenland schlage.14 Ihr sollt diesen Tag als Gedenktag haben und sollt ihn feiern als ein Fest für den HERRN, ihr und alle eure Nachkommen, als ewige Ordnung.                                          2.Mose 12, 1-4+6-8+10-14

Leider ist immer noch keine Nähe und gemeinsames Gottesdienstfeiern möglich. Ich bedauere das sehr. Glaube lebt vom Austausch, von der Gemeinschaft, deren Mitte ER selbst ist. Möge ER es schenken, dass wir uns in dieser harten Zeit nicht verlieren, sondern sehnsüchtig auf den Tag warten, wann Begegnen wieder möglich sein wird.

Liebe Schwestern und Brüder, wer den Gründonnerstag begeht, bekennt: Ich lebe von Christi Hingabe. Ich brauche seine Nähe und Stärkung, denn sein Leiden und Sterben geschah für mich. Deshalb ist jeder Gottesdienst am Gründonnerstag ein Bekenntnisgottesdienst. Wir rufen: Herr, ohne dich können wir nicht leben, ohne dich können wir nicht glauben, ohne dich nicht hoffen. Du bist alles für uns. Darum erwarten wir an jedem Gründonnerstagabend seine größte Gabe, ihn selbst. Es mag sein, dass der Text, den ich Ihnen vorgelesen habe, sehr fremd, sehr unverständlich vorgekommen ist. Wir wollen versuchen, ihn zu erschließen, denn er redet zu jenem Fest, zu dem Christus am Gründonnerstagabend mit seinen Jüngern zusammenkam. Passah, oder wie die Juden sagen Pesach. 

Wenn Juden irgendwo auf der Welt Pesachfest feiern, dann sind dort, man höre und staune, Kinder die Hauptperson. So war das schon immer, auch zu biblischer Zeit und den Kindern fällt eine ganz

besondere Aufgabe zu. Sie müssen die Erwachsenen fragen: " Warum ist diese Nacht anders als alle anderen Nächte? Warum essen wir heute Abend Sachen, die wir sonst nie auf den Tisch bekommen?" Dann deuten sie mit dem Finger, wie es nicht nur Kinder machen, auf einen Teller, den nennt man den Sederteller. Seder heißt Ordnung, wo alles in einer gewissen Ordnung angeordnet ist. Darauf befindet sich beispielsweise ein Lammknochen. Er erinnert an jenes geschlachtete Lamm, von dem ich vorgelesen habe, das in der Passsahnacht verzehrt werden musste, mit Marschgepäck auf dem Rücken, in Hast und großer Eile wie es geschrieben steht, um für den Aufbruch aus Ägypten gerüstet zu sein. 

Dann liegen Mazzen auf diesem Teller, ähnlich etwa dem Knäckebrot, ganz weiß, weil man nicht mehr Zeit genug hatte, dass der Teig gehen konnte. Bittere Kräuter liegen dort in einer Schale. Sie erinnern an die bittere Zeit, die man in Ägypten zubringen musste, als man dort Sklave war. Ein Schälchen mit salzigem Wasser, das an die Tränen erinnern soll, die man weinte, als man fernab der Heimat geprügelt wurde. 

Ein Mus (Charoset genannt)  ist auf diesem Teller, aus Nüssen, Äpfeln, Weintrauben, Zimt und anderen guten Gewürzen. Dieses Mus weist auf den Lehm hin, den man damals verarbeiten musste, um aus ihm Ziegel zu brennen. All dies erklärt der Vater Jahr für Jahr mit einer Eselsgeduld. Wenn die Kinder dann einmal groß sind und selber Kinder haben, dann werden sie es genauso weitererzählen, wie sie es selber gelehrt bekommen haben. Diese Geschichte vom Auszug aus Ägypten erzählt kein Vater ohne Stolz. Er sagt damit, Gott hat unser Volk lieb. 

Er hat für es gesorgt, so wie wir als Eltern für Dich Kind jetzt auch sorgen. Denn Gott möchte unsere Freiheit haben. Das hat er damals beim ersten Pesach ganz deutlich gemacht, und immer wieder hat man es in der langen Geschichte des Volkes Gottes erlebt, Gott will Freiheit und er sorgt für die Seinen. Immer wieder kann man es in der langen Geschichte des Volkes erleben, wie selbst in Zeiten stärkster Bedrückung und Not man an den Freiheit schenkenden und freiheitgebenden Gott festgehalten hat. So feiern die Juden Pesach bis auf den heutigen Tag. Sie feiern damit die Geburtsstunde ihres Volkes und ihrer Unabhängigkeit. 

Geht das uns heute Abend nicht ganz ähnlich? Wir können zwar das Heilige Mahl nicht miteinander feiern, aber wir denken an die Worte, die Jesus damals gesprochen hat, unmittelbar vor seinem gewaltsamen Tod am Kreuz, für Dich gegeben, für Dich vergossen. Da wird ja die Gemeinde Jesu geboren, der es genug ist, dass sie ihn den Herrn mitten unter sich weiß. Was immer wir erleben, er ist dabei. Wir brauchen uns trotz allem Unglauben und trotz hoher Kirchenaustrittszahlen keine Sorge um den Bestand der Kirche zu machen. Wir brauchen, wir können ihren Fortbestand gar nicht garantieren und würden wir noch so feurige Predigten halten. Er tut es! 

Sollte der ganze Organisationsapparat, den man Kirche nennt, zusammenbrechen, sollten alle kirchlichen Gebäude einmal verkauft werden müssen, es wird immer Menschen geben, die sich in seinem Namen versammeln, in seinem Namen das Brot brechen, den Kelch austeilen und gemeinsam beten. Von dieser Kirche sagt Jesus einmal, dass sie die Pforten der Hölle nicht überwinden werden. Deshalb bekennen wir im Blick auf alles, was uns Angst und Sorge machen könnte, er der Gastgeber ist da. Er ist der Sieger von Golgatha. 

Das werden wir in vier Tagen verkündigen, und genau das bekennt Israel an jedem Pesachabend, Gott ist der Sieger, er hat uns geholfen, den Sieg über die Ägypter davonzutragen. Seine Liebe war aber nicht damals eine Eintagsfliege, sie begleitet uns durch alle Stationen der Geschichte bis heute. Wie ging es denn dem Volk Israel vor jener denkwürdigen Passahnacht? Wie gesagt, Sklaven waren sie in Ägypten. Ziegel mussten sie brennen und das im Akkord. Möglichst viel mussten sie arbeiten und darum hat man jeder Kolonne Aufseher zugeteilt, die mit besonderen Peitschen dahinterstanden. Und wenn sie meinten, dass einer nicht schnell genug arbeiten würde, wurde ihm kräftig eins übergebraten. Viele, viele kamen dabei zu Tode. 

Dazu gab es noch eine staatliche Anordnung besonders bestialischer Art: Alle Kinder, die geboren werden, sollten sofort danach sortiert werden, Mädchen dürfen leben, neugeborene Jungen müssen sterben. Es könnte ja später ein tapferer Soldat werden und dann könnte er gegen uns zu Felde ziehen. Schon vor seiner eigentlichen Geburtsstunde, war Israel ein verfolgtes, gedemütigtes und als minderwertig angesehenes Volk. Dann lesen wir in der heiligen Schrift, wie Gott zu diesem Volk sagt," Du bist in meinen Augen wertvoll. Ich liebe Dich. Ich sorge für Dich." 

Wie könnten wir, die wir uns Christen nennen, darum jemals negativ über dieses Volk reden und denken, zu dem Gott gesagt hat" Du bist wertvoll für mich." In der Zeit vor dem Passah, nachdem Gott Mose zu seinem Boten berufen hat, geschehen neun unheimliche Plagen. Jedes Mal, wenn die Ägypter das Volk ziehen lassen wollen und die Plagen hören auf, heißt es:" Ätsch, war doch ein Irrtum, ihr bleibt!" Darum kommt die zehnte, für uns so unverständlich harte Plage. Ein schweres Geschütz. Die Anweisungen Gottes, sie haben es ja vorhin gehört, die gehen sehr ins Detail. Hören wir noch einmal genau hin. 

Ich lese den Text in ein paar Auszügen: ,,Am zehnten Tage des Monats nehme ein jeder Hausvater ein Lamm, je ein Lamm für ein Haus, wenn aber in einem Hause für ein Lamm zu wenige sind, so nehme er es mit seinem Nachbarn. Er soll es verwahren, bis zum vierzehnten Tag des Monats, dann soll es die Gemeinde Israel schlachten gegen Abend und sie sollen von seinem Blut nehmen und an die Pfosten und an die obere Schwelle damit streichen und dann es essen." 

Dann wird beschrieben, wie sie es braten sollen. Zuallererst fällt die soziale Komponente in diesem Text auf. Das Fest soll mit Nachbarn gefeiert werden und wenn die Familie zu klein ist, sollen eben Leute eingeladen werden. Wird uns das nicht auch bei der Abendmahlsfeier bewusst? Wir nehmen das Mahl ja nicht alleine ein. Auch nicht in unserem Familienkreis, sondern eben mit denen, die durch den Glauben an Christus mir Schwestern und Brüder, die sich , wann immer es möglich ist, an den Tisch des Herrn rufen lassen. Der Tag und die Uhrzeit, wann das Lamm geschlachtet werden soll, ist ebenfalls genau festgelegt, abends am vierzehnten Tag. 

Nicht nur hier wird deutlich, wie konkret unser Gott bei allem Planen und Wollen ist. Die Anweisungen dienen dazu, dass die Flucht aus Ägypten reibungslos, man könnte fast sagen, generalstabsmäßig abläuft. Jedem, der hier zum Passah zusammenkommt, wird klar, in allem ist Gott der Regisseur. Es geschieht nichts Planwidriges. Ob wir das auch so sagen können? 

Ich denke da haben wir alle unsere Fragen. Wo ist er, wenn ein Mord passiert? Wo ist er, wenn eine Katastrophe, wie wir sie gerade erfahren, hereinbricht? Wo ist er, wenn ein Mensch schwer erkrankt? Wo ist er, wenn gewachsene Freundschaft und Beziehungen auseinanderbrechen? Wir füllen diesen Zwischenraum, den wir nicht erklären können, gewöhnlich mit dem Wörtchen Zufall. Lösen tut dieser Begriff keine einige dieser Fragen, aber er ist ein Etikett, mit dem wir grübelndes Nachdenken stoppen wollen. Der Jude glaubt, so wie wir vorhin auch bekannt haben, Gott den Allmächtigen. Das heißt, ein Zufall kommt in seinem Weltbild nicht vor, kam nicht vor und bis heute nicht. Er sieht auch in allem unerklärbaren, fragwürdigen, Gott selbst am Werk, den er oft genug nicht versteht, weil er ihn gedanklich nie in den Griff kriegen kann. Darüber staunt der Beter der Psalmen beispielsweise, über die Hoheit Gottes. 

Nicht anders geht es mir, wenn ich die Leidensgeschichte Jesu lese. Ich kann da nicht alles erklären und meine Professoren konnten es auch nicht. Warum wurde denn der Judas zum Verräter? Warum war überhaupt einer nötig? Warum verließen Jesus die Jünger in der entscheidendsten Stunde? Konnte Gott nicht auf andere Art und Weise seine Liebe und Nähe zum Menschen unterstreichen? 

Mir bleibt nur eins, dankbar anzunehmen, was mein Herr in dem Geschehen von Golgatha für mich tat und dass in allem seine Liebe deutlich wird, an der ich nicht irre zu werden brauche. Passah ist das Fest des Volkes! Und das Abendmahl? Das Fest des Volkes Gottes! Ein Lebensfest, damals! Gott hat seinem Volk die Freiheit geschenkt. Heute Jesus sagt uns zu, Dir ist vergeben und nun vergib Du auch. Daran erinnert uns jede Mahlfeier aufs Neue. 

Wir dürfen frei sein und auch von der Freiheit weitersagen und sie auch leben. Keiner muss sich mehr nach der Masse richten, keiner wird gezwungen mitzumachen. Gott ist ein Feind jeglichen Drucks. Wer durch Gott frei geworden ist, der kann andere Menschen nicht mehr versklaven, der kann keinen Meinungsterror mehr dulden. Dieses Grunddatum des Volkes Gottes hat Auswirkungen bis in unsere Zeit, denn es ist der gleiche Gott, der sich hier in diesem Text uns vorstellt, der uns durch Christus die Augen öffnet, für die Schwestern und Brüder, die um uns sind. Genau das leben wir nicht immer. 

Auch Israel hat es nicht immer gelebt. Denn deswegen sandte Gott seine Propheten. Wer es einmal liest, was die Propheten schreiben: das ist starker Tobak. Der Reiche versklavt den Armen, der Mächtige macht den Schwachen fertig, der Gewitzte beutet den einfachen Menschen aus. Darum kommen die Propheten und brandmarken die Schuld derer, die ganz und gar gegen den freimachenden Gott sich verhalten. Darum kam Jesus, um uns aus einem Teufelskreis zu befreien. 

Israel ist nicht besser als alle anderen Völker, so sagten es die Propheten, aber es hat in einer ganz besonderen Stunde eine besondere Gotteserfahrung gemacht und darum auch eine besonders hohe Verantwortung. Selbst in den allerschwersten Stunden feierte dieses Volk sein Passahfest. Als z. B. die Kreuzfahrer kamen und sie durch Waffengewalt zur Bekehrung zwingen wollten. Man feierte es im Warschauer Getto, man feierte es im Frühjahr 1939, wenige Monate nach der Reichskristallnacht, man feierte es auf dem Schiff Exodus, als man unterwegs war auf der Flucht in das gelobte Land. Es gab kein Jahr, indem das Passahfest je ausfiel oder gar terminlich verschoben wurde. Das sicherte über alle Wechselfälle hinweg den Zusammenhalt des Gottesvolkes. 

Am Ende einer jeden Feier sprechen die Juden seit dem Jahre 70 nach Christus, als dieses Volk in alle Himmelsrichtungen zerstreut worden ist, wenn sie am Tisch sitzen und das Mahl gegessen haben: ,,Dieses Jahr als Sklaven, nächstes Jahr als Freie, dieses Jahr hier, nächstes Jahr in Jerusalem." Diese gespannte Erwartung trägt und prägt sie alle. Bei den häuslichen Feiern ist immer ein Stuhl frei und ein Becher wird eingeschenkt, den keiner trinkt. Stuhl und Becher sind für den Propheten Elia und zugleich ein Symbol dafür, der Messias muss doch jetzt bald kommen. Wir brauchen keinen Stuhl freizuhalten, denn wir warten nicht mehr auf den Messias. Er ist da. Er hat seine Verheißung wahrgemacht, wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen. Er hat aus der Passahfeier, zu der er seine Jünger damals versammelt hat, etwas ganz Besonderes und Neues gemacht, ein Gedächtnis seiner Person, die Feier seiner lebendigen Gegenwart. Er sprach, wie alle Hausväter damals das jahrhundertealte Gebet über Brot und den Kelch. Dann kam das Neue, indem er sagte:" das ist mein Leib, für Dich gegeben, das ist mein Blut, für Dich vergossen." 

In diesem Elementaren bin ich Dir nah, bin ich für Dich da. So nah möchte ich Dir sein, dass ich in Dich reingehe. Ich schenke mich Dir ganz. Was bleibt uns da anderes übrig, als für diese großzügige Gabe zu sagen:" Gott sei Dank."                                                               Amen