Karfreitag 10.04.2020 - Predigt von Pfr. i. R. Gerhard Jost

Karfreitag 2020 - weil Corona sich entfaltet, ein trauriger Tag, ohne Gemeinde

Predigttext: 2. Korinther 5,19-21

19 Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. 20 So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! 21 Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.

Liebe Schwestern und Brüder,

ohne, dass wir einander haben oder sehen, müssen wir in diesem Jahr diesen Tag begehen. Ihr fehlt mir und ich Euch wahrscheinlich auch. So müssen wir dieses Mittel der Kommunikation nutzen, um einander wenigstens ein wenig nahe zu sein.

Von allen Tagen im Jahreslauf ist der Karfreitag der bedeutungsvollste, weil er uns einen tiefen Einblick in das Herz unseres Gottes gibt. So meint es unser Gott mit Ihnen und mir. Wir alle sind seine Geschöpfe, von IHM mit viel Weisheit und Liebe erschaffen. Aber statt auf IHN zu hören, statt Seinen Worten zu folgen, haben wir uns immer wieder von IHM losgerissen, sind eigene Wege gegangen, um das Glück unseres Lebens und seine Erfüllung an IHM vorbei zu finden. 

Dass diese Wege allesamt Holzwege sind, merken wir manchmal erst recht spät nach manchen Niederlagen, Enttäuschungen und Umwegen. Wenn ein Ingenieur eine Maschine entwickelt, ist nur er in der Lage, den Aufbau und die Wirkungsweise des ganzen Apparats zu erklären. So kann auch nur Gott allein sagen, wozu wir Menschen da sind, was der Sinn unseres Lebens ist; denn ER hat uns erschaffen- nicht unsere Eltern. Von Gott losgelöst werden wir den Sinn unseres Lebens ganz gewiss nicht finden, oder wir geben banale, vergängliche, tote Dinge als erstrebenswerte Ziele aus. 

Der große russische Schriftsteller Dostojewski brachte nach langem Suchen und dem endlichen Finden die Sache für sich auf den Punkt und schrieb: „Gott kennen ist Leben“ Und da ein Leben ohne Liebe nicht lebbar ist, fügte er noch hinzu, was schon die Bibel sagt: Gott ist Liebe. 

Diese wird im Geschehen am Kreuz eindrücklich offenbar. Paulus schreibt den Korinthern: Gott war in Christus. Wie ist das gemeint? Wer Jesus begegnete, erlebte die besondere Nähe und Wärme unseres Gottes. Er schenkte, ohne zu fordern. Er half, ohne nach einer Gegenleistung zu fragen. So wie Jesus lebte und handelte, so macht es unser Gott zu allen Zeiten. Oder anders gesagt: Jesus würde nie etwas anderes tun, als Gott es will. Deshalb sagt er selbst einmal im Johannesevangelium: Ich und der Vater sind eins. 

Beide verbindet eine besondere Beziehung, wie sie auf dieser Erde zwischen Eltern und Kindern, zwischen Liebenden niemals sein kann, trotz aller Harmonie, die gelebt wird und möglich ist. 

Bei einem Traugespräch sagte mir vor einiger Zeit ein Bräutigam scherzhaft: Wenn du heiratest, heiratest du ja nicht nur die Frau, die du liebst. Du kriegst gleich eine ziemlich umfängliche Familie mit an die Backe. Und wieviel Konflikte und Sprengstoff darin verborgen sein können, das brauchen Sie nicht lange zu überlegen, das wissen die meisten von uns nur allzu gut. 

Weil ich Beziehungen nie im Reinformat erleben kann, stellen wir uns auch zwischen Gott und Jesus vor, dass es da vielleicht Rivalität und Unterschiede gegeben haben müsste. Nein, sagt Jesus. Wir sind wirklich eins. So führt auch Gott mit einem jeden von uns Gutes im Schilde. Deshalb lehnte er uns mit unseren Extratouren, unserer Untreue, unserem Schuldigwerden nicht ab, sondern geht uns allezeit nach. 

Die grammatikalische Form des Wortes „versöhnen“ in unserem Predigttext belegt dies: das hat Gott nicht damals, sozusagen ein für alle Mal am Kreuz gemacht. Nein, er tut es immer wieder, zu allen Zeiten, an allen Orten, gegenüber allen Menschen. Seine Versöhnung, die er uns anbietet, mündet stets in den Zuspruch: Dir ist vergeben. Nichts steht mehr zwischen Gott und Dir. Unsere Sünde, unsere Alleingänge ohne IHN, unsere Widerborstigkeit gegen seinen Willen, all das streicht er durch und sagt: Trotz all diesem: Du bist und bleibst von mir geliebt. 

Das Wort der Versöhnung kommt allein aus Gottes Mund. Nicht das Wort der Aufrechnung, das wir nur allzu gut aus unserem menschlichen Miteinander kennen. Gehen Sie mal durch die Geschichte der Kirche in Gedanken hindurch. Das hat diese Kirche auf sehr langen Strecken weder begriffen noch gelebt, was Versöhnung heißt. Statt der Versöhnung gab es Verfolgung, statt Vergebung Strafen. Statt Dienst gab es Macht. 

Noch heute erfahren Christen mancherorts in Beichtstühlen, dass sie eine gewisse Bußleistung zu erbringen haben oder dass gar ein Ablass nötig ist. Weil das Versöhnen nicht gelebt wurde, gab es Hexenprozesse, wurden Menschen aus der Kirche und damit vom Heil bei Gott ausgeschlossen. Kirchenfürsten verhielten sich wie weltliche Fürsten, aber nicht, wie Gott es will. Mich macht dies unendlich traurig: Hier ist das frohmachende Evangelium der Freiheit verdunkelt und verfälscht worden. Und viele kauen heute noch kräftig daran herum. 

Auch das kirchliche Verhalten bei den schrecklichen Missbrauchsfällen, von denen vor einiger Zeit Tag für Tag zu hören war, ist alles andere als vorbildlich. Statt die Opfer zu schützen und liebevoll zu begleiten, standen über Jahre nur die Täter im Focus. Vertuschen statt aufklären, war die Parole.  Und wie sind durch solche Übergriffe die Kinderseelen lebenslang gezeichnet worden. Was für eine ungeheure Lebensfracht ist ihnen mitgegeben worden, die kein Geld der Welt je heilen kann. 

Es soll und muss die vornehmste Aufgabe der Kirche sein, Versöhnung nicht nur zu predigen, sondern sie auch stets zu leben. Tut sie das nicht, dann hat sie eindeutig Gottes Spur verlassen und dient nicht mehr dem Leben. Dabei macht eine versöhnende Gesinnung das Leben leicht, weit und befreit.

Ein tschechisches Märchen dazu: 

An einem Fluss wohnten zwei Bauern, der eine am rechten, der andere am linken Flussufer. Die Bauern waren sehr neidisch aufeinander. Wenn sie morgens pflügten, schimpfte der eine, weil sein Feld im Schatten lag, das des Nachbarn aber in der prallen Sonne. Und wenn sie abends Holz hackten, schimpfte der andere, weil sein Haus jetzt im Schatten lag, das des Nachbarn aber in der Sonne. Auch die Frauen der Bauern waren unzufrieden. Eines Morgens, als die eine gerade Wäsche aufhing, schrie sie ein böses Wort ans linke Flussufer hinüber, und als sie abends die Wäsche abnahm, gab die andere der böse Wort ans rechte Ufer zurück. Nur mittags, wenn die Sonne hoch am Himmel stand, herrschte Ruhe und Frieden, weil die Bauern mit ihren Frauen unter den Apfelbäumen lagen und Mittagschlaf hielten. Die beiden Kinder der Bauern saßen in der Mittagszeit am Ufer und langweilten sich. Doch eines schönen Tages war der Wasserspiegel stark gesunken, und aus dem Wasser ragten so viele große Steine, dass die Kinder hinüberhüpfen konnten. Sie trafen sich in der Mitte des Flusses. Sie setzten sich auf einen großen Stein und fingen an, sich Geschichten zu erzählen und sie hüpften nun jeden Mittag über die Steine, um sich in der Mitte zu treffen. 

Die Eltern wunderten sich, woher ihre Kinder plötzlich Dinge wussten, von denen sie selbst noch nie etwas gehört haben. Doch eines Tages, nach einem sehr langen Regen hörten die Kinder auf, Geschichten zu erzählen, zu lachen und zu singen. Das Wasser im Fluss war wieder kräftig angestiegen, und die „Kinderbrücke“ verschwunden. Da erfuhren die Eltern endlich das Mittagsgeheimnis ihrer Kinder und sie fingen an, nachzudenken. Und als sie lange genug nachgedacht hatten, beschlossen sie, zusammen mit ihren Kindern aus den übriggebliebenen Steinen eine Brücke zu bauen. 

Liebe Schwestern und Brüder, so, genauso geht Versöhnung. Ich tue etwas. Ich warte nicht, bis der andere aktiv wird. Jesu Absicht ist Versöhnung. Wozu ich nicht in der Lage bin oder mich zu schwach fühle, das tut ER. ER baut mir eine Brücke hin zu Gott. Ich habe den Eindruck, dass wir Menschen uns viel besser auf das Brückeneinreißen verstehen, als auf das Bauen. Der Papst in Rom heißt Pontifex, auf Deutsch heißt das „Brückenbauer“. Ein solcher sollte aber nicht nur der eine Papst sein, sondern jeder Gläubige, der bei seinem Herrn gelernt hat, aus der Vergebung zu leben und den ersten Schritt auf den anderen hin zu tun.  Der Karfreitag mahnt uns: ER, Christus, hat alles für Dich getan. Jetzt lebe such so.

Sie uns ich, die wir uns Christen nennen, sollen in unserem Umfeld Botschafter sein. Welche Funktion hat denn ein Botschafter? Er wird von seiner Regierung in ein fremdes Land entsandt und soll die Politik seiner Regierung dort vertreten und notfalls erklären. Wenn wir „Botschafter an Christi statt“ sein sollen, dann sind wir alle von höchster Stelle beauftragt, Seine gute Nachricht in diese Welt hineinzubringen. Wir sollen rufen: Lasst Euch versöhnen mit Gott. Versöhnung setzt Schuld voraus und vor allem: die Erkenntnis seines eigenen Schuldanteils. An dieser Stelle klemmt es bei uns mehr oder minder arg. Wer von uns weiß sich denn unserem Gott gegenüber schuldig, gegenüber seinem Gebot, seiner nicht enden wollenden Liebe? Nur der, der die Schuld nicht verdrängt oder auf andere schiebt. Es ist der Mensch, der darunter leidet, dass er immer wieder zurückfällt in die alte Leidenschaft, den alten Egoismus, in dieselbe Distanz zu Gott, der uns aber aus Liebe auf den Fersen bleibt. Gott tut von seiner Seite aus alles, damit unser Leben gelingt und wieder ins Lot kommt. Darum: Lasst Euch versöhnen mit Gott!!

ER ist Euer Freund, nicht der kleinliche Buchhalter, der peinlich genau alle Eure Verfehlungen aufschreibt, nicht der Richter, vor dem ich nicht bestehen kann und darum nie eine Chance haben werde. ER ist der Vater, der Sie und mich aus ganzer Liebe sucht. 

Er will, koste es eben, was auch immer es wolle, den Kontakt zu seinen Geschöpfen. Den Preis, den Er zu zahlen bereit ist, ist der Anlass des heutigen Tages. ER setzt das Leben seines geliebten Sohnes ein, um Sie und mich für immer zu gewinnen. Was Sie und ich nicht fertigbringen, das tut Gott aus lauter Liebe zu uns. Seither ist das Kreuz das Zeichen der Versöhnung mit uns, die Zusage seiner unverbrüchlich geltenden Liebe. Das Pluszeichen in göttlicher Mathematik! So ist unser Gott. Er begibt sich in Menschenhände. Er lässt sich sogar besiegen, ohne sich das Heft der Regie je aus der Hand nehmen zu lassen. 

Gottes Antwort auf das Tun der Menschen erfolgte drei Tage später. Übermorgen ist Ostern. Für mich ganz schwer, dieses ohne Gemeinde zu feiern. Mein Glaube lebt von den Schwestern und Brüdern. Ohne Gemeinschaft ist er bedroht wie eine Pflanze, der man das Wasser verweigert. 

Normalerweise hörten wir an Ostern, wie wahr und verlässlich Gottes Wort ist. Nichts und niemand kann Gottes guten Plan mit uns Menschen zerstören. Dieses bedenkend, sehen wir vielleicht ein, dass wir uns selbst nicht versöhnen können und dass wir Versöhnung nicht selber schaffen können. Hier liegt die Ursache für unsere kranke, unversöhnte Welt, dass wir den versöhnenden Gott aus dem Blick verloren haben, dass wir seinem Wort weniger zutrauen als den Worten der Macher und Politiker, dass wir IHM nicht mehr glauben. 

Die Folge davon ist, dass wir mit uns selbst allein sind, nur noch um uns selbst drehen und im Nächsten nicht die Schwester und den Bruder sehen, sondern den Konkurrenten, den wir aus dem Feld schlagen müssen, koste es, was es wolle. Darum sehen wir oft neidisch oder überheblich auf unsere Nächsten, weil wir es verlernt haben, wie Gottes Kinder, wie seine versöhnten Kinder miteinander umzugehen. 

Darum bittet Gott: “Lasst euch versöhnen! Der bittende Gott- auch das passt gar nicht in das Gottesbild, das wir in uns tragen. Ja, am Kreuz zerschellen viele alte und neue Gottesbilder. Meine Aufgabe als Prediger am Karfreitag ist keine andere als diese: diese Bitte Gottes so deutlich und zudringlich zu rufen wie möglich in die Ohren und vor allem in die Herzen aller. Um Christi willen bitte ich Sie: Lasst euch versöhnen mit Gott! Dann wird unser Leben neu, hell und frei- trotz Coronabedrohung. Lasst uns Versöhnung leben. Die Kraft dazu empfangen wir aus ewiger Quelle.          

Amen