Ostermontag 13.04.2020 - Predigt von Pfr. i. R. Gerhard Jost

13.04.2020- Ostermontag

36 Als sie aber davon redeten, trat er selbst mitten unter sie und sprach zu ihnen: Friede sei mit euch!37 Sie erschraken aber und fürchteten sich und meinten, sie sähen einen Geist.38 Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so erschrocken, und warum kommen solche Gedanken in euer Herz?39 Seht meine Hände und meine Füße, ich bin's selber. Fasst mich an und seht; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr seht, dass ich sie habe.40 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen seine Hände und Füße.41 Da sie es aber noch nicht glauben konnten vor Freude und sich verwunderten, sprach er zu ihnen: Habt ihr hier etwas zu essen?42 Und sie legten ihm ein Stück gebratenen Fisch vor.43 Und er nahm's und aß vor ihnen.44 Er sprach aber zu ihnen: Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose und in den Propheten und Psalmen.45 Da öffnete er ihnen das Verständnis, dass sie die Schrift verstanden.                               Lukas 24, 36 - 45

 

Liebe Schwestern und Brüder, im Fernsehen läuft ein Film mit dem schwergewichtigen Günther Strack. Der Schauspieler läuft und spricht, er telefoniert, er küsst, er beißt herzhaft in einen Apfel rein. Aber der Schauspieler selbst lebt schon lange nicht mehr. Der Film täuscht eine Wirklichkeit vor, die es gar nicht mehr gibt. Da sitzen wir bei einer Familienfeier zusammen, wir reden über unsere Eltern, über Episoden aus unserer Kindheit und Jugend, schauen uns Bilder im Album an - aber die Eltern leben schon lange nicht mehr. Wir sehen sie nur noch lebendig auf den Bildern. Wir wissen, wenn wir an ihr Grab treten: Sie kommen nicht wieder zurück. Wir hören Mozartmusik, Musik von Johann Sebastian Bach und bewundern, wie zart und wie kraftvoll zugleich diese Künstler Musik zeichnen konnten, zum Erlebnis machen konnten - aber sie selbst sind nicht mehr da. 

Man kennt ihre Gräber, man kann sie aufsuchen - aber sie leben schon lange nicht mehr. Besonders eindrucksvoll erlebte ich das vor einiger Zeit  in einer Leichenhalle. Ich hatte gerade eine Beerdigung und in einer Kammer war ein Mann aufgebahrt, den ich am Tag darauf beerdigen sollte. Der Bestatter hatte ihm auf Wunsch der Angehörigen einen schwarzen Anzug angezogen, ein weißes Hemd und eine Krawatte. Er lag da, als ob er schlief. 

Dann kamen die Ehefrau und die beiden Söhne, um noch einmal am offenen Sarg Abschied zu nehmen vom Mann, vom Vater. Still und ehrfurchtsvoll standen sie vor dem geöffneten Sarg und die Frau weinte sehr, weil der Tod durch Herzinfarkt eingetreten war. Ich stellte mich dazu. Dann sagte der jüngere Sohn: Papa, ich danke dir für alles. Ohne dich hätte ich nicht studieren können, ohne dich wäre Mama auch nicht eine glückliche Frau geworden. Papa, sag doch etwas zum Abschied, ein letztes Mal, bitte. Aber der Mund des Vaters blieb stumm. 

Dann, als hätte jetzt erst der Sohn verinnerlicht, dass der Vater tot ist, endgültig tot ist, weinte er laut und hemmungslos und fand kein Ende mehr. Der Tod ist wirklich etwas Schreckliches. Er schafft unkorrigierbare Endgültigkeiten. Das ist so hart, dieses "nie mehr". Wir werden nie mehr mit diesem Menschen reden können, ihn nie mehr fragen können, ihm nie mehr begegnen, nichts mehr gemeinsam mit ihm tun können. 

Das ist genau die Situation der Jünger am Karfreitag. Der, der ihr Leben ausgefüllt hat, mit dem sie durchs Land gewandert sind, vornehmlich durch Galiläa, der ihnen Halt und Geborgenheit gab, der ist nicht mehr. Umgebracht hat man ihn, festgenagelt am Kreuz. 

Vorher hat man ihn noch verspottet, ihn angespuckt, gequält und dann ist er gestorben. Es ist fast protokollartig notiert, wie wir es als Christen im Glaubensbekenntnis sprechen: Gekreuzigt, gestorben, begraben. Wäre er wie wir, dann wäre damit seine Geschichte zu Ende, aus, für immer. Dann bräche hiermit das Evangelium ab. Aber ehrlich gesagt: Was wäre das für ein Evangelium, das wir verkündigen müssten? Das wäre doch keine frohe Botschaft, wenn dieser Jesus im Grab geblieben wäre, wie wir es einmal tun, wenn man zwar viel Gutes von ihm sagen könnte, was er zu Lebzeiten gemacht hatte, aber damit wäre Schluss, aus und vorbei. 

Die Jünger haben sich wieder nach Galiläa aufgemacht, zu ihrer früheren Arbeit, in ihrer alten Umgebung, in der sie zuhause waren. Mit einmal kriegen sie mit: Das Grab sei leer. Ob sie ihn gestohlen haben? Ob er wohl umgebettet worden ist? Sie reden miteinander, über diese seltsamen und für sie makaber anmutenden Vorgänge. Mit einmal tritt Jesus mitten unter sie. 

Liebe Schwestern und Brüder, das muss sich an jedem Tag, an dem wir Gottesdienst feiern, ereignen: Damit wir nicht unter uns bleiben, muss ER in die Mitte treten, muss ER uns anrühren, muss ER aufschließen, was bei uns verschlossen ist, muss ER sozusagen in unser Leben eintreten und wenn das nicht passiert, dann gehen wir eben leer durchs Leben, ohne dass sich etwas getan hat. Wie schön wäre es, wenn alle spüren würden: Ja, er ist da, der Lebendige, der Auferstandene, er hat persönlich mit mir gesprochen. Sein Wort hat mich angerührt. Ich lebe von seiner Nähe, ich lebe von jedem Wort, weil das in mir etwas zum Klingen bringt. Sein kräftiges und zartes Wort zugleich. 

Wenn dem so wäre, dann würden wir nämlich Gottesdienst-wie jetzt auch ohne Gemeinde, für uns selbst, ganz allein, in der Stille- ganz anders und neu erleben. Die ersten Worte, die die erschreckten Jünger dann von ihm hören, das war der uralte Gruß, den die Nomaden damals einander zuriefen, wenn sie unterwegs waren mit ihren Herden. 

Da riefen sie von weiterem dem anderen zu: „Friede sei mit dir“, damit der keine Angst bekam, damit er nicht schon etwas richten musste, um sich zu verteidigen. Ich komme in friedlicher Absicht. Ich habe nicht vor, dir etwas zu stehlen, deinen Besitz zu minimieren. Ich komme, um Gemeinschaft mit dir zu haben. Friede sei mit dir: „Shalom alechem". 

Darum werden Sie zu Beginn des Gottesdienstes immer auch begrüßt. "Der Herr sei mit euch". Dann antworten Sie: "Und mit deinem Geiste", mit deinem Geiste: Gott. Wenn ER etwas bewegt, dann werden wir bewegt, nur dann. 

Wo Friede ist, wo er Friede in einen Menschen hineinschenkt, da kann etwas Gutes wachsen und gedeihen. Da ist dann kein Raum für Frucht und Sorgen. "Friede sei mit dir", das ist das Erkennungswort des Auferstandenen bis heute. Damals, wir haben es gehört aus dem Text, bewirkte dieser Gruß aber das Gegenteil: Erschrecken, Furcht, Angst machen die Runde. Sie glaubten, ein Geist sei da unterwegs. Typisch Mensch, könnte man meinen. 

Alles Abstruse zu glauben, fällt uns leichter, als die nüchternen Worte der Heiligen Schrift für bare Münze zu nehmen. Manchmal habe ich den Eindruck, wenn Leute so ihr Hirn verrenken, sie suchen nicht Gründe, Gott zu finden, sondern Argumente, wie sie ihn schneller loswerden könnten. So dumm verhalten wir uns oft und weichen damit den segnenden Händen Gottes aus -uns zum Schaden. 

In das Erschrecken hinein spricht nun Christus: Was seid ihr so erschrocken? Warum kommen euch solche Gedanken in euer Herz. Das heißt: Ich verstehe euer Verhalten nicht. Bin ich euch fremd geworden? Ist euch nicht mehr in Erinnerung, was ich damals gesagt habe, als ich zu Lebzeiten unter euch war? Merken Sie, Jesus schimpft sie nicht wegen ihres Unglaubens aus. Er zieht sich auch nicht in den Schmollwinkel vor ihnen zurück, sondern so wie ein Erwachsener Kindern die Angst nimmt und sie langsam zur Erkenntnis führen will, so redet er mit ihnen, dass er der Gekreuzigte und der Auferstandene sei. Anfassen und befühlen wollen sie ihn, um ganz gewiss zu werden. 

Genau das will Jesus nämlich von uns, dass wir alle, wenn wir nach einem Gottesdienst  die Kirchentüre hinter uns gelassen haben, als gewisse Leute unseren Weg machen. Glaube heißt: Ich bin gewiss. Ich bin gewiss, sein Wort ist wahr. Darauf kann ich mein Leben bauen. Was mein Herr sagt, das geschieht. Glaube ist nichts anderes als Gewissheit. Um mich dahin zu führen, wendet Jesus alles auf. 

Wenn Sie heute sagen können: Ja, mir ist tatsächlich der Auferstandene begegnet. Ich bin gewiss, er lebt. Ich bin gewiss, er lebt auch in mir. Nichts kann mich von ihm trennen und nicht auch noch so viele Argumente können mir diese Gewissheit je nehmen. Können Sie das so sagen? Ich wünsche es Ihnen. Lukas sagt: Vor Freude hätten sie nicht geglaubt. Manchmal sagen wir so etwas Ähnliches, wenn uns irgendeine Nachricht erreicht hat: Das kann doch nicht wahr sein. Zwick mich mal, ob ich träume oder ob ich in der Wirklichkeit bin. 

In dieser Situation befinden sich nun die Jünger. Sie sind völlig außer sich. Sie sind verwirrt. Zur Wiedersehensfreude gehört nun ein Fest. Immer wenn Jesus mit den Jüngern zusammenkommt, gibt es Tischgemeinschaft. Er hat Hunger, will etwas zu essen. Sie geben ihm ein Stück gebratenen Fisch. Warum? Der See Genezareth ist nah und da wimmelt es von Fischen. Als dieser Text geschrieben worden ist, aber da hatte das Wort "Fisch" eine besondere Bedeutung gehabt. Es war die Zeit der Christenverfolgung, als Lukas sein Evangelium schrieb. 

Da diente das Wort "Fisch" als Chiffre, für die Christen sozusagen als Erkennungszeichen. Das griechische Wort für Fisch heißt „Ichthys". Wenn man jeden Buchstaben als Anfangsbuchstaben eines neuen Wortes nimmt, dann kommt dabei folgendes heraus: "I" für Jesus, „ch" für Christus, das „th" für Gott, für theos, das y, d.h. yios für den Sohn, das „s" für soter, den Retter. Dann heißt das Wort "Fisch" zugleich: Jesus Christus ist Gottes Sohn und mein Retter. Deshalb haben manche Christen auf ihrem Auto hintendrauf ein Fischsymbol, um zu sagen: Auch im Straßenverkehr möchte ich als Christ erkennbar bleiben, ich will es jedenfalls. 

Nach dem Essen erklärt nun Jesus, was mit ihm geschah und warum. Alles steht sozusagen unter einem göttlichen Muss. Es musste so kommen. Es musste alles erfüllt werden. Gott ist kein Freund von Ankündigungen, die er unerfüllt lässt. Wie ein großer Bogen spannt sich nun die Geschichte Gottes von den Uranfängen, von dem ersten Buch Mose gleichsam bis in die Jesusgeschichte hinein. Es ist die Geschichte des Heils von Abraham angefangen, über Mose, David bis zu Jesus. Das Alte Testament, wie ein riesen langer Zeigefinger, zu Kreuz und Auferstehung gerichtet. Er, Christus, ist die Erfüllung aller göttlicher Zusagen. 

Das gilt auch für Ihr und mein Leben. Wo Christus Einzug hält, da bekommt alles seinen Sinn, seine Ordnung. Da wird alles zu einem festen Gefüge zusammengetan. Im Grunde ist er der Ausleger der Heiligen Schrift und wir sollten sie wie Spürhunde auslegen, die Gottes Fährte in jedem Wort der Heiligen Schrift suchen, in seinem Sinn Zusammenhänge entdecken. „Bibelleser wissen mehr." Wo dies in Demut und Achtung vor Gott geschieht, da wird immer der Glaube gestärkt, immer. Jesus, der Ausleger der Bibel. Bei ihm können wir lernen, mit der Bibel umzugehen. Denn für ihn stand Gottes Wort ganz hoch im Kurs. 

Als ihm am Anfang seines Weges der Versucher begegnete, unten bei Jericho, da brachte er Argumente des Alten Testamentes, der Thora. Auch der Satan kennt sich in Bibel aus, will die Bibel damit sagen. Jesus argumentiert mit Worten, die er in der Heiligen Schrift findet. 

Bei Jesus beobachte ich eine ganz tiefe Ehrfrucht vor Gottes reden. Dies möchte ich auch gern zu meiner eigenen Haltung machen. Gott ist unvergleichlich. Leider hat das dies die Theologie immer wieder neu vergessen: Dass man vor Gott nur eine einzige Haltung haben sollte, die der Achtung. Auch bei Jesus kann ich lernen, wie man die Bibel auslegt, damit Verstehen dieses uralten Wortes ins Heute möglich wird. Im Grunde müssen wir alle, ob alt oder jung, immer wieder neu bei ihm in die Schule gehen, an ihm Maßnehmen, damit Glaube wachsen kann. Dann macht er den traurigen und orientierungslosen Jüngern deutlich, dass alles, was bisher von ihm gesagt worden ist, in der Bibel so nachlesbar ist. D.h. eigentlich hätten sie ja wissen müssen, was mit Kreuz und Auferstehung es auf sich hat. Kennt ihr nicht, so hätte Jesus wahrscheinlich zu seinen Jüngern gesagt, das alte Lied vom Gottesknecht, Jesaja 53. Das bin ich. Kennt ihr nicht die Geschichte von Jona, der drei Tage im Bauch des Fisches war? 

Drei Tage, das war ich auch, tot. Kennt ihr nicht Hosea 6, wo geschrieben steht, dass er den Auserwählten wieder auferwecken wird? Das bin ich. Also: alles hat Gott wunderbar geordnet in seinem Wort. Lies die Bibel, dann kapierst du mehr. So bleibt es unser Auftrag, immer wieder hinzuweisen auf jenes Wort, in dem Gott gesagt hat, was geschehen wird. Der Ursprungsort der Auferstehungsbotschaft ist und bleibt die Bibel. 

Von hier soll die Kunde ausgehen: Der Tod ist getötet. Er hat nicht mehr alle Macht. Zeugen sollen wir sein, so lesen wir es hier. Zeuge ist einer, der etwas erlebt hat und der es darum authentisch weitergeben kann, der nichts dazu macht, sondern so sagt, wie er es eben erlebt hat. Zeugen sollen wir sein, und wir können es nur sein, wenn wir auch mit diesem Jesus etwas erlebt haben. 

Wenn wir alles nur im Kopf haben, da locken wir keine Maus mehr hinterm Ofen vor. Das muss in Fleisch und Blut von uns übergehen. Wenn das der Fall ist, wenn wir mit Jesus etwas erlebt haben, dann können wir auch reden davon. Alles andere ist nur Gelaber. Damit unser Zeugnis von ihm glaubwürdig ist, bekommen wir einen Mutmacher, sagt er, einen Kraftgeber von höchster Instanz gleichsam, Gott hat es versprochen und er wird sein Wort ebenso wahr machen, wie er es bisher immer gehalten hat: Ich will, sagt der auferstandene Christus, ich will ihn zu euch senden. Dann wird er ein paar Wochen später, nämlich sieben genau, mit Gottes Geist die Jünger erfüllen. Er will sie stark machen, will sie gewiss machen, damit sie seine Zeugen sind. 

Das sollen wir sein. Er lebt und mit ihm auch ich. Es ist nie zu spät, damit anzufangen.            

Amen.