Palmsonntag 05.04.2020 - Predigt von Pfr. i. R. Gerhard Jost

05.04.2020- Palmsonntag

3 Und als er in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Glas mit unverfälschtem und kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Glas und goss es auf sein Haupt. 4 Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? 5 Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an.6 Jesus aber sprach: Lasst sie in Frieden! Was betrübt ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. 7 Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. 8 Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt für mein Begräbnis. 9 Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat.      Markus 14, 3-9

Liebe Gemeinde,

unser Predigtext heute redet von einem Festessen, das im Hause von Simon dem Aussätzigen stattfindet. Das heißt aussätzig kann dieser Mensch ja nicht mehr sein, sonst würde er gemieden. Sonst säße er außerhalb der Stadt, irgendwo in einer der vielen Höhlen, wo man nur noch auf zweierlei warten kann: auf milde Gaben, damit man sein Dasein fristet oder auf einen möglichst schnellen und schmerzlosen Tod. Offensichtlich ist aber an dem sich langsam zersetzenden Leib des Simon ein Wunder geschehen. Er muss wieder gesund geworden  sein. Er ist wieder in die Gesellschaft zurückgekehrt sein. Vielleicht feiert er gerade deswegen ein Freudenfest. Er hat viele Freunde dazu eingeladen. Jesus und seine Jünger sind auch dabei.

Wenn man im Orient feiert, dann nehmen stets unglaublich viele Menschen daran teil. Es ist, wie im Orient üblich, eine reine Männergesellschaft. Frauen haben bei diesen Festen nichts zu suchen. Ihre Aufgabe ist es den Raum zu richten, die Teppiche auszuklopfen, die Wasserkrüge am Eingang parat zu stellen, damit der ankommende Gast sich den Staub von der Straße von den Füßen abwaschen kann und von den Händen. Dann müssen Handtücher parat gelegt werden, das Essen muss gekocht werden und später darf die Frau dann auch alles aufräumen. Das also ist Frauensache. 

Nun ist das Essen aufgetragen, der Hausherr wird, wie damals üblich, über das Essen, weil es von Gott gegeben ist, den Segen gesprochen haben und das Dankgebet. Dann beginnt das Essen. Jedem mundet es, es ist still im Raum, man denkt über den freundlichen Gastgeber nach, an dem ein so großes Wunder geschehen ist. Mitten in dieses Essen hinein platzt nun eine Frau. Türen gab es damals nicht, damals standen die Häuser Tag und Nacht offen. Die Frau musste doch die Anstandsregeln kennen. Man betritt kein fremdes Gelände unaufgefordert. Das muss sie doch kennen, was will sie denn nur? Allein ihr Kommen zeigt schon, dass sie sich über damals gültige Gesetze einfach hinwegsetzte. Wir erfahren ihren Namen nicht, auch ihre Herkunft liegt im Dunkeln. Sie hat ein kostbares Alabaster Gefäß bei sich. Was hat sie nur vor? 

Sie nimmt dieses Gefäß, bricht ihm den langen Hals ab und schüttet allerteuerstes Nardenöl, das man früher aus Indien  importieren musste, über den Kopf von Jesus. Gefäß und Öl sind ein Vermögen wert, ein Jahresgehalt. Jeder Gast schaut auf diese Frau. Das ist doch ein Skandal. Was für eine grandiose Geldverschwendung. Was soll das nur? Um das zu verstehen, müssen wir wissen, dass im Orient Tag für Tag die Sonne heiß vom Himmel herunter brennt und die Haut dabei austrocknet. Salben und Ölen gehörte damals für den gut situierten Bürger zum täglichen Gebrauch. Ob sie deswegen gekommen ist? 

Aber warum salbt sie dann nicht den Hausherrn, den Simon? Warum gerade Jesus? Warum muss es so ein sündhaft teures Öl denn sein, es gibt doch auch preiswertere. Warum verschwendet die das so einfach? Nun fangen die Gäste an zu meckern. Ihnen ist bei der ganzen Sache nicht wohl in der Haut. Einige sprechen aus, was offenbar alle denken. Sie hätte doch das Öl, wenn sie es schon weggeben will , wenigstens verkaufen können und das Geld den Armen geben können. Jetzt wo Passahfest ist, halten sich ganz viele Bettler in den Straßen auf . Da halten viele Mittellose ihre Hände auf und betteln, damit sie sich wenigstens am Passahfest ein Lamm kaufen können oder etwas zu essen haben. Mit dem Geld hätte sie einigen Hundert Menschen geholfen, das Passahfest zu feiern. Stattdessen kippt sie dieses Öl einfach auf Jesu Kopf. 

Solche Stimmen sind auch bei uns bis heute nicht verklungen. Da will sich eine Kirchengemeinde eine Pfeifenorgel kaufen, die mehr als eine Million Euro kostet. Darüber sind einige in der Gemeinde furchtbar empört und teilen das der Presse mit. Die hat auch schon eine Schlagzeile parat: „Was geht der Kirche der Hunger in der Welt an.“ Eine Schlagzeile im wahrsten Sinne des Wortes, und viele finden sie gut. Da will und muss eine Kirchengemeinde Räume schaffen für die Jugendlichen und einige sagen: Denkt doch an die armen Gemeinden in der dritten Welt, die haben nicht so etwas, seid bescheiden. Wer unter uns wäre wohl bereit, ein Jahresgehalt für die Sache Jesu zu opfern? Nicht wahr, Kritiker sind oft sehr einseitig. Sie sehen in unserer Geschichte immer nur eine, nämlich ihre Seite. Ob die Kritiker, die anderen raten, was sie tun sollen, selber das tun, was sie von anderen fordern? Einer meint, dreihundert Silbergroschen hätte man für das Öl bekommen. Dann hätte man das Geld den Armen geben sollen. 

Lasst euch doch mal fragen, was tut denn ihr für die Armen? Ihr fordert von anderen Werke der Liebe, aber tut ihr sie selber auch? Jesus entlarvt ihre Gesinnung als scheinheilig. Er stellt sich zu der kritisierten und von allen Seiten angegifteten Frau; lasst sie in Frieden. Ob diese Frau geweint hat? Ob sie deprimiert oder enttäuscht war? All das sagt der Text nicht. Nur dies eine erfahren wir, Jesus stellt sich schützend vor diese Frau. Das tut ihr gut. „Was betrübt ihr sie,“ fragt er. Also, wer gibt euch eigentlich das Recht, einen anderen Menschen traurig zu machen? Wer gibt euch das Recht, ihr Tun nur negativ zu sehen und diese Frau damit zu verurteilen? Wisst ihr überhaupt, was da geschehen ist? „Sie hat ein gutes Werk an mir getan,“ sagt Jesus.

Nun muss man wissen, dass bei den Juden ein großen Unterschied gibt zwischen Almosen geben und gute Werke tun. Almosen, das ist das,  was ich an Geld in der Jackentasche habe, was ich einem Bettler geben kann, damit  sein lästiges Werben endlich aufhört. Ich gebe etwas, was ich vom Überfluss geben kann, etwas was mir nicht wehtut. Gute Werke, das ist viel,  viel mehr. Da bin ich mit meiner ganzen Person gefordert, da muss ich Zeit und Einsatz zeigen, das kostet mich auch finanziell einiges, da ist mein Herz und Gefühl mit dran beteiligt. Gute Werke, das war es doch, was die Pharisäer von den Leuten damals forderten. Aber diese pharisäerhafte Tischgesellschaft sieht das nicht, sie will es nicht sehen. Diese Frau, sie salbt Jesus, so wie früher Propheten Könige gesalbt haben, damit sie vor dem Volk als der rechtmäßige Regent von Gottes Gnaden dargestellt wurden. Aber Jesus will auf keinen Thron steigen, er will nicht die Regierungsgeschäfte in Jerusalem übernehmen, er steigt ans Kreuz, um für diese Menschen, für die freigiebigen und die knauserigen, für die Männer und Frauen, für die Frommen und Pharisäer zu sterben. 

Bevor er diesen schweren Weg ans Kreuz von Golgatha antritt, diesen letzten Weg, wendet sich die Frau mit aller Liebe und Herzlichkeit ihm zu und salbt ihn. Eine Predigt ohne ein Wort. Wie nötig wäre das heute, wo wir von Worten schier erstickt werden. Was unsere Welt braucht, sind zupackende Hände, liebende Herzen, selbstlose Menschen, Menschen die bereit sind zu ganzer Hingabe und das nicht aus einem gottlosen Humanismus heraus, sondern vom Glauben an den lebendigen Gott getragen. Liebe ist wirklich mehr als nur ein Wort. Es ist ein sich verschenken, ein Jesus in die Arme werfen. Dahinter leuchtet die sehr persönliche Frage an uns alle auf, wie viel ist denn mir Jesus Christus wert? Was bist du bereit, um seinetwillen hin zu geben, ihm, der sich für dich geopfert hat und vor allem, woran ist denn ablesbar, was der Glaube dir persönlich bedeutet? 

Merken sie, diese Predigt ohne Worte  packt einen. Sie trifft, sie geht einem unter die Haut. Glaube  kann doch nicht im Dahersagen von einem  Glaubensbekenntnis bestehen. Glaube entsteht doch auch nicht durch einen Akt, sondern Glaube ist ein lebenslanges hinwachsen zu Christus. Ein lebenslanges Vertrauen, ja eben ein sich ihm in die Arme werfen. Glaube ist Liebe und nicht ein Lehrsatz. Glaube ist nicht blind, sondern er guckt genau hin. Glaube ist nicht weltfremd, sondern er steht mit beiden Beinen mitten in diesem Leben. Er ist eine Sache des Herzens und nicht des Kopfes allein. Es beansprucht mich immer ganz. Er ist, und das haben einige in dieser Gemeinde sehr wohl erfahren, ansteckend, lebendig und leidenschaftlich. 

Ein altes Lied, das Paulus in der ersten Gemeinde gefunden hat, in der Urgemeinde, das überliefert er im ersten Korintherbrief und darin heißt eine Zeile: „Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen, aber hätte keine Liebe, so wäre es mir nichts nütze. Und darum fragt Jesus die Kritiker hier am Tisch: „Denkt ihr auch aus Liebe an die Armen, oder wollt ihr diese Frau nur bloßstellen, wollt ihr sie nur fertigmachen? Wenn euch Liebe treibt, wenn sie echt ist, dann muss das doch jeder spüren und nicht nur ein paar spezielle Menschen. Diese ungenannte Frau hielt nicht fest, was sie besaß, sondern sie gab im Letzten alles für Jesus vor seinem Leiden und Sterben. 

Da steht sie in der Mitte des Raumes, eine Frau, die nichts haben, nichts für sich haben und nichts beanspruchen will, sondern die schlicht nur sich geben will. Solche Leute sind zu allen Zeiten selten. Nun erklärt Jesus der verdutzen Tischgesellschaft, was die Tat dieser Frau im tiefsten bedeutet hat. Wenn ihr alle ihr Tun nicht versteht , ihr Lieben, dann muss ich es euch mal erklären. Sie hat an mein bevorstehendes Sterben gedacht, sie hat mich für den Tod gesalbt. Sie weiß, dass mein Weg auf das Ende zugeht. Für sie, für dich und für euch gehe ich diesen Weg. Sie weiß mehr als ihr alle, die ihr um diesen Tisch hier versammelt seid und die  ihr so gescheit daherredet: sie tat den letzten Liebesdienst an mir. Ach, wenn wir das doch auch alle fertig  brächten! Wenn ich über den Friedhof gehe, dann sehe ich oft so viele, viele bunte Blumen auf den Gräbern und denke oft, ob diese Menschen, die da drunter begraben liegen zu Lebzeiten mal einen Blumenstrauß bekommen haben? Dann hätten sie wenigstens etwas davon gehabt. Jetzt stehen sie vielleicht zur Beschwichtigung des eigenen schlechten Gewissens da. Tut Gutes, solange ihr es tun könnt, hat Angelus Silesius, ein Frommer des Mittelalters, gesagt. 

Das, was die Frau bei diesem Festgelage hier tut, ist eine klare und eindeutige Passionspredigt. Der, dem ich Gutes tu, der geht für mich in den Tod, damit ich leben kann. Dann beendet Jesus diese Spannung im Hause des Simon mit einem ganz denkwürdigen und wichtigen Satz, den wir ja nicht überhören dürfen. Dass er wichtig ist, das unterstreicht Jesus mit dem Wort: „wahrlich.“ Das meint so viel wie: darauf gebe ich euch Brief und Siegel. Dazu stehe ich, dazu gebe ich mein Ehrenwort. Er sagt, wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem, also zu der Frau, Gedächtnis, was sie jetzt an mir getan hat. Das heißt: meine Leidensgeschichte kommt ohne diese Frau nicht aus. Wenn ihr euer Evangelium aufschlagt, denkt zugleich an das, was diese Frau getan hat. Ihr Beispiel soll unter euch Christenmenschen Schule machen. Ihr sollt euch fragen: bin ich bereit, alles für Christus hinzugeben? Es gibt genug oberflächliche Menschen, die nur so tun, als würden sie an die Armen denken. Nein, diese Frau denkt an mich. Tut ihr das auch? 

Amen